Geschichte der Augenheilkunde

Schon in den Gesetzestafeln des Hammurapi vor über 3600 Jahren wurden Vorschriften für Augenoperationen erlassen. - der Arzt sollte für eine erfolgreiche Operation eine Belohnung von 10 Shekel erhalten, wohingegen ihm bei Misserfolg beide Hände abgehackt werden sollten. Die ersten Operationen die durchgeführt wurden war das „Stechen des grauen Stars“.
Starstecher gab es bereits in vorchristlicher Zeit in den Hochkulturen rund um das Mittelmeer und häufig endete die Prozedur für den Patienten tödlich. Im Mittelalter reisten die Starstecher - zumeist waren es Barbiere - von Ort zu Ort und stachen auf den Marktplätzen den Grauen Star: öffentlich, ohne Betäubung und unter miserablen hygienischen Bedingungen. Mittels eines speziellen Messers wurde die trübe Linse des Auges ("Grauer Star") in das Auge hineingedrückt. Nach diesen Eingriffen kam es in den allermeisten Fällen zu schwersten und sehr schmerzhaften Augenentzündungen, die häufig schon nach kurzer Zeit zum endgültigen Erblinden führten. Kein Wunder, dass sich viele Starstecher am Ort ihres Wirkens nie wieder sehen ließen. Johann Sebastian Bach starb an der Folge einer Staroperation. Georg Friedrich Händel überlebte zwar seine erste Operation, blieb aber Zeit seines Lebens blind (siehe unten „Starstich im 18. Jahrhundert“).

 
  Ausführung einer Staroperation, 1764

Die Augenheilkunde gehörte zunächst zur Chirurgie und bildete sich erst im Lauf des 18. Jahrhunderts , besonders aber des 19. Jahrhunderts als selbständiges Fach heraus. Bis zum 18. Jahrhundert war die Anatomie und die Funktionsweise des Auges unklar. Erst ab dem 19. Jahrhundert wurden durch das Aufkommen des Mikroskops Einzelheiten bekannt und systematisch für die Therapie nutzbar gemacht. 1800 prägte Carl Gustav Himly den Namen Ophthalmologie, im selben Jahr beschrieb Thomas Young den Astigmatismus.

Erste Kliniken wurden Anfang 19. Jahrhunderts in Erfurt und Budapest eröffnet. Den ersten Lehrstuhl für Ophthalmologie besetzte Georg Joseph Beer (1763 – 1821).

Die entscheidende Erfindung auf dem Gebiet der Diagnostik war die Erfindung des Augenspiegels durch H. von Helmholtz (1821 - 1894) im Jahr 1851 und die Erfindung des Perimeters durch Richard Förster (1825 - 1902). Die entscheidenden Schritte für die Augenoperationen war die operative Behandlung des grünen Stars durch Albrecht von Graefe (1828 - 1870), der als „Vater der Augenheilkunde“ gilt, und die erste erfolgreiche Transplantation der Hornhaut (Keratoplastik) im Jahre 1906 durch Eduard Zirm (1863– 1944).
In den letzten Jahrzehnten sind immer weitere Verfahren in der Diagnose und Therapie hinzugekommen, die das Verständnis von Augenkrankheiten, sowie die individuelle Behandlung wesentlich verbessert haben. Speziell die Untersuchung der Netzhaut, die das aktive sensorische Element des menschlichen Sehorgans darstellt, aber tief im Schädel verborgen ist, hat wesentliche Fortschritte gemacht. (z.B. Optische Kohärenztomografie)


Der “Starstich” im 18. Jahrhundert


Der graue Star ist den Menschen des 18. Jahrhunderts wohl bekannt. Sie fürchten die milchig-trübe Verfärbung in der Pupille, die ihnen das Augenlicht raubt und sie zu hilflosen Almosenempfängern macht. Daher suchen sie bereits im Frühstadium des Starleidens Zuflucht bei Heilkundigen, die zunächst zu konservativen und humoralchirurgischen Maßnahmen greifen. Im Sinne der Vier-Säfte-Lehre wird die Trübung in der Pupille – das “Wölkchen im Stern” – als Ansammlung verdorbener Säfte interpretiert. Durch innerliche Medikamente, Aderlässe, blasenziehende Pflaster und künstlich gesetzte Eitergeschwüre versucht man, das Blut zu reinigen. Nur wenn diese Maßnahmen nichts fruchten und die Linsentrübung zur gänzlichen Erblindung führt, entschließt sich der Kranke zur Operation, dem “Starstich”.

Dabei sitzen sich Chirurg und Patient auf zwei Stühlen Auge in Auge gegenüber. Ein Helfer tritt von hinten an den Kranken und drückt dessen Kopf mit beiden Händen fest an seine Brust. Nun stützt der Starstecher seine linke Hand an der Stirn des Patienten ab, spreizt mit Daumen und Zeigefinger die Augenlider des rechten Auges auseinander und fixiert gleichzeitig mit leichtem Druck den Augapfel. Mit der rechten Hand ergreift er die feine Starstichnadel. Nachdem er sie durch den Mund gezogen hat, um sie schlüpfriger zu machen, führt der Operateur die Nadel von außen an das Auge heran und sticht seitlich der Regenbogenhaut in das Weiße des Augapfels ein. Die Nadel wird vorsichtig weiter vorgeschoben, bis sich ihre Spitze hinter der Pupille zeigt. Nun gilt es, den “Star” oben mit der Nadel zu erfassen und in den Grund des Auges hinabzudrücken, so daß er auf dem Boden der Augenhöhle zu liegen kommt. Dort hält ihn der Operateur noch ein wenig fest, um das gefürchtete Wiederaufsteigen des “Stars” zu vermeiden. Aus dem gleichen Grund wird unmittelbar nach dem Eingriff ein Verband mit Branntwein-getränkten Kompressen über beide Augen gelegt und mit einem Tuch festgebunden. Soll das linke Auge gestochen werden, wird die Operation entsprechend spiegelverkehrt ausgeführt.

Der Starstich wurde nicht nur von ausgebildeten Chirurgen durchgeführt, sondern auch von selbsternannten “Oculisten”, die ihre Dienste auf den Messen und Jahrmärkten feilboten. Gelang der Eingriff, so war dem Starstecher durch die spektakuläre Operation, wodurch “man oft in einer Minute die Blinden [...] sehend machen” konnte, weitere Kundschaft gewiss. Starb der Patient an den Folgen des Starstichs, so war der reisende Operateur meist schon weit über alle Berge, ohne Einbußen für seinen Ruf fürchten zu müssen. Auch für andere chronische Erkrankungen, etwa die Leistenbrüche oder die Blasensteinleiden, gab es solche selbsternannten “Spezialchirurgen”.

MARION MARIA RUISINGER Institut für Geschichte der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg